UVSD SchmerzLOS e. V. sieht die Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen in Gefahr, weil Schmerztherapie bei der Krankenhausreform keine eigene Leistungsgruppe erhält.
Der Vorstand fordert alle Politiker auf, sich für eine eigene Leistungsgruppe einzusetzen, damit sich die Versorgung nicht noch weiter verschlechtert.
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Antwort aus dem Bayer. Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention
Abteilung 2 – Krankenhausversorgung
30.06.2025
Sehr geehrte Frau Norda,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 7. Juni 2025, in der Sie darauf aufmerksam
machen, dass nach dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz
(KHVVG) für den Fachbereich Schmerzmedizin keine eigene Leistungsgruppe
vorgesehen ist. Frau Staatsministerin hat uns als zuständiges
Fachreferat gebeten, Ihnen zu antworten.
Wie Sie zutreffend darlegen, wird die Schmerzmedizin derzeit nicht explizit
in der Leistungsgruppensystematik des KHVVG abgebildet. Gleichwohl ist
die Leistungsgruppensystematik darauf ausgerichtet, den gesamten somatischen
Versorgungsbedarf abzudecken, sodass auch schmerzmedizinische
Leistungen künftig über die neue Vorhaltevergütung finanziert werden
sollen.
Grundsätzlich bietet die Abbildung der Schmerzmedizin als eigene Leistungsgruppe
die Gefahr, dass zusätzliche, unsachgemäße Kriterien die Zuweisung
dieser Leistungsgruppe erschweren und sich so einige Krankenhäuser
aus dem Bereich der Schmerzmedizin zurückziehen müssen. Dennoch
fordern wir gegenüber dem Bund eine eigene Leistungsgruppe
„Schmerzmedizin". Denn nach den aktuellen Regelungen im KHWG sind
gerade Kliniken, die sich auf das Gebiet der Schmerzmedizin spezialisiert
haben, in ihrem Fortbestand gefährdet. Der Leistungsgruppen-Grouper des
Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus ordnet schmerzmedizinische
Leistungen überwiegend den „allgemeinen" Leistungsgruppen „Allgemeine
Innere Medizin" und „Allgemeine Chirurgie" zu. In diesen Leistungsgruppen
ist jedoch eine Zuordnung der Versorgungsstufe „Level F" gem.
§ 135d Abs. 4 Satz 3 SGBV nicht möglich, sodass entsprechend spezialisierte
Fachkliniken nicht von den im Gesetz vorgesehenen Kooperationsmöglichkeiten
für Level-F-Kliniken zur Erfüllung der Leistungsgruppenvoraussetzungen
profitieren können.
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD lässt insofern Änderungen
des KHWG erwarten, die in den kommenden Monaten vom Bundesgesetzgeber
ausgearbeitet werden sollen und deren konkrete Umsetzung abzuwarten
bleibt. Zwar wird es nach den Ankündigungen im Koalitionsvertrag
- wie auch die von Ihnen angesprochene Diskussion ergeben hat - zunächst
keine eigene Leistungsgruppe „Schmerzmedizin" geben, denn die
Leistungsgruppen werden sich auf die 60 „NRW-Leistungsgruppen" zuzüglich
der Leistungsgruppe „spezielle Traumatologie" beschränken. Eine
Nachbesserung ist jedoch bezüglich der Definition der Level-F-Häuser zu
erwarten. Diese soll mit dem Ziel überarbeitet werden, die in den Ländern
bestehenden und für die Versorgung relevanten Fachkliniken zu erhalten.
In diesem Rahmen ist das StMGP bereits an Frau Bundesgesundheitsministerin
Warken mit konkreten Änderungsvorschlagen herangetreten, um insbesondere Kliniken mit spezialisiertem Leistungsangebot, das jedoch
nach der gegenwärtigen Grouper-Zuordnung den Leistungsgruppen Allgemeine
Innere Medizin und Allgemeine Chirurgie unterfällt (wie z. B. der
Schmerzmedizin), die Zuordnung des „Levels F" zu ermöglichen und so Erleichterungen
bei der Erfüllung der Leistungsgruppenvoraussetzungen zu
verschaffen.
Daneben fordern wir auch eine Klarstellung des Bundesgesetzgebers, dass
die Leistungsgruppensystematik für Besondere Einrichtungen und teilstationäre
Einrichtungen keine Geltung beansprucht, denn diese Einrichtungen
können schon aufgrund ihrer besonderen Struktur die Leistungsgruppenvoraussetzungen
(z. B. ständige Rufbereitschaft mehrerer Ärzte) nur schwer
erfüllen. Auch auf diese Weise versuchen wir insbesondere für Tageskliniken
eine finanzielle Plan ungsperspektive zu schaffen.
Für Ihr Schreiben und die damit verbundenen wertvollen, fachlichen lnfor
mationen bedanken wir uns. Wir sind weiter an der Seite der Verantwortlichen
in der stationären Versorgung, um gemeinsam notwendige Änderungen
der derzeitigen Regelungen des KHVVG anzumahnen und durchzusetzen.
Zusätzlich dürfen wir anregen, Ihre Forderungen und Bedenken auch
unmittelbar an das Bundesministerium für Gesundheit zu richten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Roth
Regierungsdirektorin
Antwort aus dem thüringischen Ministeriumfür Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie:
26.06.2025
Sehr geehrte Frau Norda,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 7. Juni 2025, in dem Sie auf die fehlende Abbildung einer eigenständigen stationären Schmerztherapie-Leistungsgruppe im Kontext der geplanten Krankenhausreform
hinweisen. Wir haben Ihre Ausführungen mit großem Interesse gelesen und nehmen Ihre fachlich fundierten Hinweise sowie die geschilderten Sorgen aus Sicht der Betroffenen sehr ernst.
Die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (IMST) wird auch im Freistaat Thüringen als ein wichtiger Bestandteil einer hochwertigen Versorgung chronisch schmerzkranker Menschen betrachtet.
Die im Koalitionsvertrag festgelegte Zielrichtung einer sektorenübergreifenden, patientenzentrierten Versorgung findet hierin eine wichtige Ergänzung.
Zugleich bitten wir um Verständnis, dass die Ausgestaltung und Systematik der neuen bundesweiten Leistungsgruppensystematik – insbesondere die Frage, welche Therapieformen eigenständig
berücksichtigt werden – in den Regelungsbereich des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und des Bundesgesundheitsministeriums fällt. Eine unmittelbare Einflussnahme durch das Land Thüringen ist
daher nur begrenzt möglich.
Wir beobachten jedoch die bundesweite Entwicklung sehr aufmerksam und bringen – soweit angezeigt – im Rahmen unserer Möglichkeiten Hinweise zu besonderen Versorgungsbedarfen in Thüringen in die
entsprechenden Gremien und Fachdialoge ein.
Ihr Schreiben wird daher im Haus weitergeleitet und fließt in die laufende interne Befassung mit der Krankenhausreform ein. Wir danken Ihnen für Ihr Engagement und den konstruktiven Beitrag zur
gesundheitspolitischen Debatte.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Christoph Apel
Referent
THÜRINGER MINISTERIUM FÜR SOZIALES, GESUNDHEIT, ARBEIT UND FAMILIE Referat 4B 1 Krankenhauswesen, Bevölkerungsschutz, E-Health Werner-Seelenbinder-Straße 6 | 99096 Erfurt Postfach 900354 | 99106
Erfurt
Tel: +49 (0) 361 57 3811 431 | Fax: +49 (0) 361 57 3811 840
christoph.apel@tmsgaf.thueringen.de • krankenhauswesen@tmsgaf.thueringen.de
Die Versorgungsmedizin Verordnung, die regelt, welche Erkrankungen und Funktionseinschränkungen welchen GdB (Grad der Behinderung) zuerkannt bekommen, soll geändert werden. Diues sieht ein Referentenentwurf des BMAS vor, zu dem die maßgeblichen Verbände eine Stellungnahme abgeben konnten. Im Download sehen Sie die Stellungnahme von UVSD SchmerzLOS e. V. Noch immer ist es unserer Meinung nach nicht rechtssicher geregelt, wem sog. "außergewöhnliche Schmerzen" zuerkannt werden. Die Kannverordnung mit einer Erhöhung des GdB um 10 ist unserer Meinung nach zu wenig. Dem Teilhabeaspekt wird zu wenig Rechnungn getragen.
Zu 1. Verbesserung der Versorgungsstrukturen für Schmerzpatienten
Nach einer Studie aus dem Jahr 2014 (Häuser et al) gibt es in Deutschland ca. 2 Mio. Patienten mit hochgradig chronifizierten Schmerzen. Das Bundesversicherungsamt (BVA) rechnete bereits 2014 mit 3,4 Mio. Patienten mit schweren chronischen Schmerzen. Bei gut 1000 ambulant tätigen schmerztherapeutischen Einrichtungen stehen in Deutschland bei weitem nicht für die große Anzahl der Patienten adäquate Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Wartezeiten sind viel zu lang.
Wenn Hausärzte die Patienten, bei denen eine Prävention der weiteren Chronifizierung ihrer Schmerzen möglich ist, an Schmerzexperten überweisen und diese mit einer mehrmonatigen Wartezeit rechnen müssen, wird die Forderung nach einer Vermeidung der Chronifizierung konterkariert.
Jeder (angehende) Arzt sollte in Deutschland die Grundlagen der Schmerzmedizin erlernen. Damit wird er in die Lage versetzt, „bei unkomplizierten Patienten Leiden durch neuropathische, akute posttraumatische bzw. postoperative Schmerzen und Tumorschmerzen zu lindern, chronisch Schmerzkranke zu erkennen, einer Schmerzchronifizierung durch Prävention vorzubeugen und ggf. eine adäquate Weiterbehandlung zu veranlassen.“ (siehe A. Kopf/L. Radbruch in „Der Schmerz“ 4, 2014, S. 352, Online publiziert: 29. Juli 2014).
Studierende sind erfahrungsgemäß besonders durch Famulaturen zu motivieren. Wenn diese dadurch in schmerzmedizinisch arbeitenden Einrichtungen an die Arbeits- und Denkweisen von und durch Schmerzexperten herangeführt werden, ist damit zu rechnen, dass im weiteren Verlauf des Studiums nach diesen persönlichen Erfahrungen ein besonderes Augenmerk auf schmerzmedizinische Aspekte gelegt wird. Im Optimalfall wäre zu erwarten, dass mehr Studierende eine Tätigkeit als Schmerzmediziner anstreben.
Es gibt immer mehr Menschen mit chronischen Schmerzen, aber deren Versorgung ist unzureichend. Weil die Bedarfsplanung sich an Facharztgebieten orientiert, gehen die Patienten mit chronischen Schmerzen leer aus. Wir fordern, dass die Bedarfsplanung auch die Versorgung für Schmerztherapie abdeckt.
Es darf nicht weiter hingenommen werden, dass Schmerzpatienten sich mit einer mangelhaften Versorgung begnügen müssen. Schmerzpatienten sind Beitragszahler der gesetzlichen und privaten Krankenkassen und haben das Recht, genauso wie andere Erkrankte, von einem spezialisierten Arzt versorgt zu werden. Auch in der GOÄ ist die Schmerztherapie nicht abgebildet.
In Schleswig-Holstein gilt: Wenn ein ausschließlich schmerztherapeutisch tätiger Arzt seinen Kassensitz abgibt, soll dieser nur an einen Schmerztherapeuten vergeben werden dürfen, auch arztgruppenübergreifend. Dies muss für das gesamte Bundesgebiet gelten.
Der Anspruch auf Vermeidung unnötiger und Linderung von Schmerzen ist ein Grundrecht. Deswegen dürfen schmerzmedizinisch geeignete medikamentöse wie auch nichtmedikamentöse Maßnahmen nicht durch Budgetierung begrenzt sein.
Die Bioverfügbarkeit von gleichen Wirkstoffen schwankt. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein unkomplizierter Austausch von Medikamenten (je nach den aktuellen Rabattverträgen der jeweiligen gesetzlichen KK) erfolgt. Ein Austausch sollte nicht ohne medizinische Notwendigkeit erfolgen und nicht ohne Zustimmung des behandelnden Arztes möglich sein.
Die immer noch zu hohe Vergütung von Operationen und anderen invasiven Maßnahmen führt inzwischen zu oft dazu, dass Patienten eher diese „technischen“ Leistungen angeboten werden als mindestens hilfreiche Gespräche. Auch die Zuverlässigkeit der teuren apparativen Diagnostik wird in Fachkreisen sehr angezweifelt. Vorzuziehen sind demnach multimodale Therapieprogramme, die zu den Regelleistungen gehören sollten.
Zu 2. Keine wichtigen Entscheidungen ohne Patientenbeteiligung mit Stimmrecht
Viele wichtige Entscheidungen werden immer noch ohne Patientenbeteiligung bzw. ohne deren Stimmrecht getroffen (z. B. Beteiligung von Patienten im Zulassungsausschuss für Ärzte ohne Stimmrecht). Bei Leitlinien-Erarbeitungen (LL) werden erfreulicherweise Patientenvertreter mit Stimmrecht beteiligt (z. B. Überarbeitung der LL „LONTS“).
Gerade weil viele der zu treffenden Entscheidungen für Patienten richtungsweisend sind und vielfach über Mitgliedsbeiträge der Patienten entschieden wird, fordern wir eine bindende Beteiligung von Patientenvertretern mit Stimmrecht.
Zu 3. Aufnahme der Krankheit „Chronischer Schmerz“ in die „Versorgungsmedizin-Verordnung“
Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) bildet den Rahmen für die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) bzw. Grades der Schädigung (GdS). Von diesem Rahmen darf nicht abgewichen werden. Chronischer Schmerz ist dort nur mit einer „Kann-Formulierung“ erfasst (siehe Erläuterungen unten).
In der Praxis bedeutet dies, dass bei chronischen Schmerzen eine Erhöhung des GdB bzw. GdS um 10 in Betracht kommen kann. Manche Richter bzw. Gutachter verlangen als Nachweis dafür, dass der Betroffene in schmerztherapeutischer Behandlung ist bzw. BTM-Medikamente einnimmt. Daran kritisiert die Patientenvereinigung SchmerzLOS e. V., dass es sich um eine „KannFormulierung“ handelt. Somit ist keine Rechtssicherheit gegeben. Außerdem wird der GdB in der Praxis max. um 10 erhöht. Dies schließt nicht die bio-psycho-sozialen Folgen des eigenständigen Krankheitsbildes Chronischer Schmerz ein. Manche Betroffene erhalten keine schmerztherapeutische Behandlung, weil diese in den meisten Bundesländern wie z. B nicht überall angeboten wird und die Wartezeiten auf einen Termin bei Schmerztherapeuten bis zu einem Jahr und mehr betragen.
Betroffene Schmerzpatienten benötigen vielfach einen „Schwerbehindertenausweis“, der ab GdB 50 erteilt wird. Hierdurch werden Nachteilsausgleiche, vor allem am Arbeitsplatz, möglich. Dabei muss bedacht werden, dass man fast immer das Ausmaß der Schmerzen bzw. die damit verbundenen Beeinträchtigungen nicht „sehen“ kann und Schmerzpatienten oft mobbingähnlichen Anfeindungen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Oft stehen diese durch höhere Fehlzeiten auch eher auf der „Kündigungsliste“ als gesunde Arbeitnehmer. Mit der Schwerbehinderten-Eigenschaft ist ein erhöhter Kündigungsschutz verbunden, der oft hilft, soziale Nachteile, zumindest teilweise, zu vermeiden.
Die bio-psycho-sozialen Beeinträchtigungen und damit auch die Teilhabeorientierung bei dem Krankheitsbild Chronischer Schmerz werden nicht korrekt bewertet und damit auch nicht bewertet. Dies bedarf einer Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung. Wir fordern, die VersMedV den elementaren Bedürfnissen der Schmerzpatienten entsprechend anzupassen.
Zu 4. Stärkere Anerkennung des Ehrenamts
Viele Menschen, auch Schmerzpatienten, engagieren sich ehrenamtlich. Bisher wird dieses Engagement durch die Öffentlichkeit und den Staat nur teilweise wahrgenommen und gefördert. Hier könnten Erleichterungen für Ehrenamtliche zum Tragen kommen. Beispiele hierfür wären ein angemessener Freibetrag bei der Berechnung der Lohnsteuer, der auch immer mehr Rentner unterliegen, oder freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr oder eine Wahlmöglichkeit von Erleichterungen. Schwierig ist es für Ehrenamtliche auch, Freistellungen von der bezahlten Arbeit für Fortbildungsveranstaltungen für das Ehrenamt zu bekommen. Oft haben solche Veranstaltungen keine Anerkennung als Bildungsurlaub, da sie für Betroffene, also Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, geplant werden und so meist nicht von entsprechender Dauer sind, was aber eine Voraussetzung für eine Anerkennung ist.
Erläuterungen zu 3.
Die Versorgungsmedizin-Verordnung wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Dezember 2008 veröffentlicht.
Dort heißt es wörtlich: „Bei der Beurteilung des GdS sind auch seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu beachten. Die in der GdS-Tabelle niedergelegten Sätze berücksichtigen bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen (z. B. bei Entstellung des Gesichts, Verlust der weiblichen Brust). Sind die seelischen Begleiterscheinungen erheblich höher als aufgrund der organischen Veränderungen zu erwarten wäre, so ist ein höherer GdS gerechtfertigt. Vergleichsmaßstab ist nicht der behinderte Mensch, der überhaupt nicht oder kaum unter seinem Körperschaden leidet, sondern die allgemeine ärztliche Erfahrung hinsichtlich der regelhaften Auswirkungen. Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen sind anzunehmen, wenn anhaltende psychoreaktive Störungen in einer solchen Ausprägung vorliegen, dass eine spezielle ärztliche Behandlung dieser Störungen - z. B. eine Psychotherapie - erforderlich ist.
j)
Ähnliches gilt für die Berücksichtigung von Schmerzen. Die in der GdS-Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden. Das kommt zum Beispiel bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (Stumpfnervenschmerzen, Phantomschmerzen) in Betracht. Ein Phantomgefühl allein bedingt keinen GdS.“ (Hervorhebungen HN)
Im Gegensatz dazu werden bei anderen Krankheitsbildern, wie z. B. „Psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ „soziale Anpassungsschwierigkeiten“ berücksichtigt (siehe Erste Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 1. März 2010). In der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV werden auch das „Ausmaß des Therapieaufwands“ und die „Beeinträchtigungen durch Einschnitte in der Lebensführung“ zum Beispiel bei dem Krankheitsbild Diabetes berücksichtigt.
(Lübeck, 24.02.2020)
1. Verbesserung der Versorgungsstrukturen für Schmerzpatienten
2. Keine wichtigen Entscheidungen ohne Patientenbeteiligung mit Stimmrecht
3. Aufnahme der Krankheit „chronischer Schmerz“ in die „Versorgungsmedizin-Verordnung“
4. Stärkere Anerkennung des Ehrenamts
Zu 1. Verbesserung der Versorgungsstrukturen für Schmerzpatienten
- Gespräche mit dem Patienten müssen Vorrang haben und besser vergütet werden als Operationen und apparative Behandlung
- Einstellung von mehr ärztlichen, psychologischen und physiotherapeutischen Schmerztherapeuten
- Wartezeiten von höchstens vier Wochen auf einen ambulanten, tagesklinischen und stationären Therapieplatz
- Wartezeiten von höchstens vier Wochen auf einen Therapieplatz für ambulante Psychotherapie
- Pflichtfortbildungen für Hausärzte
- Schmerztherapeutische Kassensitzvergabe auch Arztgruppenübergreifend nur an
Schmerztherapeuten
- Ausweitung der Angebote für Studierende: Mehr Angebote in der Lehre, Famulaturen
- Budgetfreiheit für Schmerztherapie
- Kein Austausch von Medikamenten in der Schmerztherapie, auf die ein Patient eingestellt wurde
Nach einer Studie aus dem Jahr 2014 (Häuser et al) gibt es in Deutschland ca. 2 Mio. Patienten mit hochgradig chronifizierten Schmerzen. Das Bundesversicherungsamt (BVA) rechnete bereits 2014 mit
3,4 Mio. Patienten mit schweren chronischen Schmerzen. Laut BVA-Auskunft gibt es etwa 1142 ambulant tätige schmerztherapeutische Einrichtungen in Deutschland. Dies bedeutet, dass über 2900 dieser
stark betroffenen Schmerzpatienten auf jede dieser Einrichtungen entfallen. Da aber die Zahl der Behandlungsfälle auf 300 – 400 Patienten pro Quartal begrenzt ist, müssen schon heute
Schmerzpatienten selbst mit stark chronifizierten Schmerzen lange Wartezeiten in Kauf nehmen (bis zu einem Jahr und länger).
Wenn Hausärzte die Patienten, bei denen eine Prävention der weiteren Chronifizierung ihrer Schmerzen möglich ist, an Schmerzexperten überweisen und diese mit einer mehrmonatigen Wartezeit rechnen
müssen, wird die Forderung nach einer Vermeidung der Chronifizierung konterkariert.
Jeder (angehende) Arzt sollte in Deutschland die Grundlagen der Schmerzmedizin erlernen. Damit wird er in die Lage versetzt, „bei unkomplizierten Patienten Leiden durch neuropathische, akute
posttraumatische bzw. postoperative Schmerzen und Tumorschmerzen zu lindern, chronisch Schmerzkranke zu erkennen, einer Schmerzchronifizierung durch Prävention vorzubeugen und ggf. eine adäquate
Weiterbehandlung zu veranlassen.“ (siehe A. Kopf/L. Radbruch in „Der Schmerz“ 4, 2014, S. 352, Online publiziert: 29. Juli 2014).
Von Hausärzten einberufene und interdisziplinär besetzte Schmerzkonferenzen, können schwierige Behandlungsverläufe deutlich verbessern. Diese sollten in die Regelvergütung übernommen
werden.
Studierende sind erfahrungsgemäß besonders durch Famulaturen zu motivieren. Wenn diese dadurch in schmerzmedizinisch arbeitenden Einrichtungen an die Arbeits- und Denkweisen von und durch
Schmerzexperten herangeführt werden, ist damit zu rechnen, dass im weiteren Verlauf des Studiums nach diesen persönlichen Erfahrungen ein besonderes Augenmerk auf schmerzmedizinische Aspekte
gelegt wird. In günstigen Fällen wäre zu erwarten, dass mehr Studierende eine Tätigkeit als Schmerzmediziner anstreben.
Es gibt immer mehr Menschen mit chronischen Schmerzen, aber die Versorgung ist unzureichend. Weil die Bedarfsplanung sich an Facharztgebieten orientiert, gehen die Patienten mit chronischen
Schmerzen leer aus. Schmerzmedizin ist eine Zusatzbezeichnung. Einen Facharzt für Schmerzmedizin gibt es in Deutschland noch nicht. Experten schätzen, dass für die etwa 2 Mio. schwer
chronifizierten Schmerzpatienten eine qualifizierte Schmerztherapie benötigt wird. Bei gut 1000 Schmerzpraxen in Deutschland sind das etwa 3000 in hohem Maße chronifizierte Schmerzpatienten pro
Schmerztherapeut. Das ist ungefähr das Siebenfache des jetzt verfügbaren Angebots.
Es darf nicht weiter hingenommen werden, dass Schmerzpatienten sich mit einer mangelhaften Versorgung begnügen müssen. Schmerzpatienten sind Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen und
haben das Recht, genauso wie andere Erkrankte, von einem spezialisierten Arzt versorgt zu werden.
Wenn ein ausschließlich schmerztherapeutisch tätiger Arzt seinen Kassensitz abgibt, soll dieser nur an einen Schmerztherapeuten vergeben werden dürfen, auch Arztgruppenübergreifend.
Linderung bzw. Vermeidung von Schmerzen ist ein Grundrecht. Deswegen dürfen schmerzmedizinisch geeignete medikamentöse wie auch nichtmedikamentöse Maßnahmen nicht durch Budgetierung begrenzt
sein.
Die Bioverfügbarkeit von gleichen Wirkstoffen schwankt. Deswegen kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein unkomplizierter Austausch von Medikamenten (je nach den aktuellen Rabattverträgen
der jeweiligen gesetzlichen KK) erfolgt. Ein Austausch sollte nicht ohne medizinische Notwendigkeit erfolgen und nicht ohne Zustimmung des behandelnden Arztes möglich sein.
Die derzeit höhere Vergütung von Operationen und Injektionen führt vielfach dazu, dass Patienten eher diese „technischen“ Leistungen angeboten werden als beispielsweise hilfreiche Gespräche. Auch
die Zuverlässigkeit der teuren apparativen Diagnostik wird in Fachkreisen sehr angezweifelt. Vorzuziehen sind demnach multimodale Therapieprogramme, die zu den Regelleistungen gehören
sollten.
Zu 2. Keine wichtigen Entscheidungen ohne Patientenbeteiligung mit Stimmrecht
Viele wichtige Entscheidungen werden immer noch ohne Patientenbeteiligung bzw. ohne deren Stimmrecht getroffen (z. B. Beteiligung von Patienten im Zulassungsausschuss für Ärzte ohne Stimmrecht).
Bei Leitlinien-Erarbeitungen (LL) werden erfreulicherweise Patientenvertreter mit Stimmrecht beteiligt (z. B. Überarbeitung der LL „LONTS“).
Gerade weil viele der zu treffenden Entscheidungen für Patienten richtungsweisend sind und vielfach über Mitgliedsbeiträge der Patienten entschieden wird, fordern wir eine bindende Beteiligung
von Patientenvertretern mit Stimmrecht.
Zu 3. Aufnahme der Krankheit „chronischer Schmerz“ in die „Versorgungsmedizin-Verordnung“
Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) bildet den Rahmen für die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) bzw. Grades der Schädigung (GdS). Von diesem Rahmen darf nicht abgewichen
werden. Chronischer Schmerz ist dort nur mit einer „Kann-Formulierung“ erfasst (siehe Erläuterungen unten).
In der Praxis bedeutet dies, dass bei Chronischen Schmerzen eine Erhöhung des GdB bzw. GdS um 10 in Betracht kommen kann. Manche Richter bzw. Gutachter verlangen als Nachweis dafür, dass der
Betroffene in schmerztherapeutischer Behandlung ist bzw. BTM-Medikamente einnimmt.
Daran kritisiert die Patientenvereinigung SchmerzLOS e. V., dass es sich um eine „Kann-Formulierung“ handelt. Somit ist keine Rechtssicherheit gegeben. Außerdem wird der GdB in der Praxis max. um
10 erhöht. Dies schließt nicht die bio-psycho-sozialen Folgen des eigenständigen Krankheitsbildes Chronischer Schmerz ein. Manche Betroffene erhalten keine schmerztherapeutische Behandlung, weil
diese in Flächenbundesländern wie z. B. Schleswig-Holstein nicht überall angeboten werden und die Wartezeiten auf einen Termin bei Schmerztherapeuten bis zu einem Jahr betragen.
Betroffene Schmerzpatienten benötigen vielfach einen „Schwerbehindertenausweis“, der ab GdB 50 erteilt wird. Hierdurch werden Nachteilsausgleiche, vor allem am Arbeitsplatz, möglich. Dabei muss
bedacht werden, dass man fast immer das Ausmaß der Schmerzen bzw. die damit verbundenen Beeinträchtigungen nicht „sehen“ kann und Schmerzpatienten oft mobbingähnlichen Anfeindungen am
Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Oft stehen diese durch höhere Fehlzeiten auch eher auf der „Kündigungsliste“ als gesunde Arbeitnehmer. Mit der Schwerbehinderten-Eigenschaft ist ein erhöhter
Kündigungsschutz verbunden, der oft hilft, soziale Nachteile, zumindest teilweise, zu vermeiden.
Die bio-psycho-sozialen Beeinträchtigungen bei dem Krankheitsbild Chronischer Schmerz werden nicht berücksichtigt und damit auch nicht korrekt bewertet. Dies bedarf einer Änderung der
Versorgungsmedizin-Verordnung. Wir fordern, die VersMedV den elementaren Bedürfnissen der Schmerzpatienten entsprechend anzupassen.
Zu 4. Stärkere Anerkennung des Ehrenamts
Viele Menschen, auch Schmerzpatienten, engagieren sich ehrenamtlich. Bisher wird dieses Engagement durch die Öffentlichkeit und den Staat nur teilweise wahrgenommen und gefördert. Hier könnten
Erleichterungen für Ehrenamtliche zum Tragen kommen. Beispiele hierfür wären ein angemessener Freibetrag bei der Berechnung der Lohnsteuer, der auch immer mehr Rentner unterliegen, oder freie
Fahrt im öffentlichen Nahverkehr oder eine Wahlmöglichkeit von Erleichterungen. Schwierig ist es für Ehrenamtliche auch, Freistellungen von der bezahlten Arbeit für Fortbildungsveranstaltungen
für das Ehrenamt zu bekommen. Oft haben solche Veranstaltungen keine Bildungsurlaubsanerkennung, da sie für Betroffene, also Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, geplant werden und so
nicht die Voraussetzungen für eine entsprechende Dauer erfüllen, die Voraussetzung für eine Bildungsurlaubsanerkennung sind.
Erläuterungen zu 3.
Die Versorgungsmedizin-Verordnung wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Dezember 2008 veröffentlicht.
Dort heißt es wörtlich:
„Bei der Beurteilung des GdS sind auch seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu beachten. Die in der GdS-Tabelle niedergelegten Sätze berücksichtigen bereits die üblichen seelischen
Begleiterscheinungen (z. B. bei Entstellung des Gesichts, Verlust der weiblichen Brust). Sind die seelischen Begleiterscheinungen erheblich höher als aufgrund der organischen Veränderungen zu
erwarten wäre, so ist ein höherer GdS gerechtfertigt. Vergleichsmaßstab ist nicht der behinderte Mensch, der überhaupt nicht oder kaum unter seinem Körperschaden leidet, sondern die allgemeine
ärztliche Erfahrung hinsichtlich der regelhaften Auswirkungen. Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen sind anzunehmen, wenn anhaltende psychoreaktive Störungen in einer solchen
Ausprägung vorliegen, dass eine spezielle ärztliche Behandlung dieser Störungen - z. B. eine Psychotherapie - erforderlich ist.
j)
Ähnliches gilt für die Berücksichtigung von Schmerzen. Die in der GdS-Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß
besonders schmerzhafte Zustände. Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung
erfordert, können höhere Werte angesetzt werden. Das kommt zum Beispiel bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (Stumpfnervenschmerzen, Phantomschmerzen) in
Betracht. Ein Phantomgefühl allein bedingt keinen GdS.“ (Hervorhebungen HN)
Im Gegensatz dazu werden bei anderen Krankheitsbildern, wie z. B. „Psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ „soziale Anpassungsschwierigkeiten“ berücksichtigt
(siehe Erste Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 1. März 2010). In der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV werden auch das „Ausmaß des Therapieaufwands“ und die „Beeinträchtigungen
durch Einschnitte in der Lebensführung“ bei dem Krankheitsbild Diabetes berücksichtigt.